Stellen wir uns einfach mal vor, zwei junge Pokerspieler sitzen in der U-Bahn, fahren von der EPT nach Hause und neben ihnen sitzt ein Rentner. Die beiden unterhalten sich über ihren ersten Turniertag und tauschen folgende Sätze aus: Also, ich konnte meinen Stack ziemlich easy builden, ich hatte keinen Flip, war nie All-In. Aber den Chipleader, den hat’s erst böse erwischt, als die Calling Station ihn mit nem Drei-Outer ausgesuckt hat, und dann war er auch leicht auf Tilt. Danach ist er aber gut gerunnt und hat mit ein paar Steals und Squeezes ordentlich Chips gemacht. Später hat er noch auf der Bubble nen Flush gerivert und der Station mit der Straight den ganzen Stack abgenommen.
Es gibt mehrere Möglichkeiten. Entweder verlässt der Rentner bei der nächsten Station die U-Bahn, oder er denkt sich „Die Jugend von heute, tststs“, oder er ist Stoiker und lässt das alles über sich ergehen, oder er überlegt, worüber die beiden in welcher Sprache reden, oder er kauft sich am nächsten Tag ein Pokerbuch.
Das Gleiche kann dem Rentner und jedem anderen natürlich auch mit Kakteenzüchtern, Börsianern, Fußballfans oder Schachspielern passieren. Patt und Remis haben es mittlerweile locker in die Alltagssprache geschafft, Zugzwang sogar international. Handelt es sich bei dem besagten Rentner aber um Horst Koch, ist zwar Verständigung möglich, doch er würde von „Oben unten“ oder „Bauchschuss“ reden, während seine Kollegen beharrlich von „Open-ended Straight Draw“ oder „Gutshot“ sprächen.
Das Englische bzw. Amerikanische ist beim Poker allgegenwärtig und versucht man es mit einer Eindeutschung kommt unter Umständen etwas so Bizarres wie „Überlebende“ für Survivors heraus. Fukushima lässt grüßen, aber ganz so existenziell ist Poker dann vielleicht doch nicht. Besser gefällt da schon „KJ“ als deutsche Entsprechung von „Rake“, wobei ich noch niemand gefunden habe, der weiß, wofür „KJ“ eigentlich steht.
Unterm Strich müssen sich aber alle deutschen Sprachpuristen damit abfinden, dass das Englische im Zusammenhang mit Poker unverzichtbar ist. Was soll man etwa mit „Straight“ machen, um Missverständnisse mit Flop, Turn und River, also den Straßen, zu vermeiden? „Folge“ etwa oder „Sequenz“, nein, dann doch lieber Straight. Auch mit der „Bubble“ wird es schwer, denn „Blase“ klingt nach Klo, und auch bei „Coinflip“ hat sich schon mancher Übersetzer mit der zeilensprengenden und von Buchsetzern gehassten „Münzwurfentscheidung“ allzu weit aus dem Fenster gelehnt.
Belassen wir es also dabei und geben dem Rentner gleichzeitig eine Chance, bis Fahrtende an Bord zu bleiben. Das ginge dann vielleicht so: Also, ich konnte zunächst ziemlich leicht einige Chips dazu gewinnen, musste nie alles bei 50 zu 50 Chancen riskieren. Aber den Führenden, den hat’s erst böse erwischt, als der Typ, der alles bezahlt hat, ihn mit drei Outs noch überholt hat, und dann hat er zeitweilig auch die Nerven verloren. Danach hat er aber gut getroffen, einige Male die Blinds gestohlen und mit Squeezes ordentlich Chips gemacht. Später hat er noch auf der Bubble nen Flush auf dem River bekommen und dem Idioten mit der Straight den ganzen Stack abgenommen.
PS: Manchmal fängt das Elend ja auch schon in der Originalsprache an. Der schlimmste Satz, den ich je aus einem Pokerbuch übersetzt habe, war „Don’t use a sledgehammer when a smaller sledgehammer does work too.“ (wer’s war, wird nicht verraten…) Noch heute lässt mich dieser Satz bisweilen nachts panisch aufschrecken, erneutes Einschlafen danach unmöglich. Semantisches Minengebiet, Drauftreten dennoch zwecklos, die pure Dialektik eben.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 29.03.2011.