Nach seinem jüngsten Artikel darüber, wie man beim Poker besser wird, nimmt sich unser Kolumnist villains_hero heute der Frage an, wie man die vom HUD angezeigten Statistiken richtig interpretiert. Ausgangspunkt war eine Frage von Michael W.:
Meine Frage an VH: Wie nutzt man HUDs richtig? Welche Statistiken und Werte sind wichtig und wie interpretiert man die?
Die beiden wesentlichen Kennzahlen sind VP$IP und PFR, „Voluntarily put $ in pot“ und „Preflop Raise“. Hätte ich in meinem HUD nur Platz für zwei Werte, diese beiden würde ich benutzen. Aus beiden lässt sich schon eine Menge Information über den Villain gewinnen: Wie oft investiert er preflop und wie oft erhöht er preflop, das sind erst einmal die beiden offensichtlichen Informationen – aber längst nicht alle.
Wie viele andere statistische Werte helfen VP$IP und PFR vor allem in Kombination weiter. Ein erfahrener Spieler kann allein aufgrund des Zahlenpärchens VP$IP/PFR in etwa abschätzen, mit wem er es zu tun hat, und brauchbare Annahmen treffen, wie sich der Villain in bestimmten Spots verhalten wird, ob er es nun mit einem 21/17, einem 33/25 oder einem 42/6 zu tun hat. Diese drei Zahlenpärchen markieren beim 6-max einen normal-tighten Regular, einen sehr loosen, aber wahrscheinlich kompetenten Spieler sowie einen Hobbyspieler. Da uns 21/17-Villains an jeder Straßenecke begegnen und 33/25-Villains an jeder dritten, ließe sich am Tisch allein mithilfe dieser beiden Werte der eine oder andere „educated guess“ über die Ranges dieser beiden Schurken anstellen, etwa wenn sie cbetten oder mit 3bets konfrontiert sind.
Als Kombination hilft und das Pärchen VP$IP/PFR über die Differenz zwischen den beiden Zahlen. Je größer die Lücke zwischen VP$IP und PFR, desto weiter coldcallt der Villain preflop (und desto looser spielt er tendenziell aus den Blinds, speziell dem Big Blind). Während ein 19/17 preflop kaum coldcallt (aber womöglich viel 3bettet), coldcallt unser 33/25-Freund sehr weit. Das gleiche gilt für ihr Verhalten gegen 3bets. Der 33/25 wird in der Tendenz liberaler gegen 3bets verteidigen, wohingegen der 19/17 sich im wesentlichen zwischen Fold und 4bet entscheidet. Und so helfen uns schon allein VP$IP und PFR bei der Überlegung, wie wir gegen diese beiden Villains 3betten sollten: Polarisiert gegen den 19/17, also nur Monster oder Bluffs, depolarisiert gegen den 33/25, also in diesem Fall eine 3bet-Range inklusive starker Broadways wie KQ, die zu 3betten gegen den 19/17 Quatsch wäre, gegen den 33/25 aber sinnvoll.
Im konkreten Fall würde ich trotzdem noch auf ein paar andere Zahlen schauen, bevor ich mir überlege, wie ich in 3bet-Situationen mit welchen Kombos wie spiele. Und Zahlen gibt es ohne Ende zur Auswahl, ob nun bei Pokertracker, Holdem Manager oder einer anderen Software. Welche und wieviele man benutzt, das muss jeder für sich austüfteln. Wahrscheinlich ändert sich die Anordnung im Lauf der Karriere, weil a) das Spielverständnis wächst und b) das Verständnis für die die Zahlen und dafür, wie sie zusammenhängen.
Ein Beispiel aus meiner Vergangenheit kann ich anführen, denn ich unterlag lange einem Irrglauben, der bis heute weit verbreitet ist: Ich dachte, dass der Aggression Factor (AF) Auskunft darüber gibt, wie „aggressiv“ ein Villain ist. Als ich mir dann Holdem Manager zugelegt hatte, kam natürlich die Frage auf, was uns eigentlich die Aggressionsfrequenz (Aggr%) sagt und was der Unterschied zwischen den beiden ist. Als ich dann bei twoplustwo nachfragte, stellte sich heraus, dass ich den AF jahrelang nicht verstanden hatte, und dass tatsächlich die Aggr% sagt, wie aggressiv ein Spieler ist, während der AF eher Auskunft darüber gibt, ob er eher ein Raiser/Folder ist oder eher ein Caller. Wer nachlesen will, wie bei mir seinerzeit der Groschen gefallen ist, bitteschön
Erstaunlicherweise war es der Pokerolymp-Geschäftsführer, der mich seinerzeit im Forum von meinem Irrtum befreit hat. Seitdem halte ich Aggr% und AF für unverzichtbar, aber eben in Kombination, weil ein Wert alleine nicht so richtig hilft. Überhaupt, auch wenn ich mich wiederhole, die Kombination von Werten ist es, die uns in der Regel weiterbringt. Zum Beispiel went to showdown und [email protected] alleine haben wenig bis keine Aussagekraft, aber als Pärchen, in Zusammenhang mit Aggr%, sagen sie uns ziemlich viel über den Stil des Villains.
Schauen wir uns nochmal unseren 33/25-Freund an, von dem wir ja schon festgestellt haben, dass er preflop weit coldcallt und wahrscheinlich seinen Big Blind weit verteidigt. Wenn wir diesen Villain in Hände verwickeln, sollten wir aber darüber hinaus wissen, was er so anstellt mit all den Gutshots, 3rd Pairs und dem anderen Quatsch, den er dank seiner weiten Coldcall-Ranges zu floppen pflegt. Also schauen wir zuerst auf seinen Fold to cbet%. Foldet er etwa 60% gegen cbets und nochmal so viel gegen Turncbets, dann spielt er offensichtlich fit or fold am Flop, ist preflop zu loose und macht postflop nicht genug Moves, mit denen er sein looses Preflopspiel rechtfertigen könnte. Für uns wäre das die Lizenz zum cbetten. Foldet er hingegen wenig gegen cbets, 40% oder so, dann sollten wir schauen, ob er eher zum floaten neigt oder gerne am Flop (semi)bluffraist. Gegen einen Floater sollten wir unsere Semibluffs am Turn fortsetzen und mit starken Händen am Turn immer mal Checkraises einbauen. Raist er aber viel gegen cbets, dann müssen wir gelegentlich rebluffen, können härter für Value cbetten/3betten und sollten ansonsten mit marginalen Händen immer mal einen Check einbauen. So lässt sich eine Strategie gegen einen bestimmten Villain entwickeln, aber das geht nur mithilfe zahlreicher Zahlen, nicht mithilfe von einer oder zwei. Und das geht nur, wenn man sich wirklich erschlossen hat, wie die Zahlen zusammenhängen und was genau sie bedeuten.
Gerade habe ich durchgezählt und stelle erstaunt fest, dass ich beim 6-max NL Holdem am Tisch 22 Stats eingeblendet habe, ziemlich viele. Hier sind sie (Tusch):VPIP, PFR, AF, Aggr%Attempt to steal, Folded BB to steal, went to showdown, [email protected], [email protected] (big pots)Cbet, Turncbet, Fold to cbet, Fold to TurncbetCbet, Fold to cbet, Raise cbet, Flop-Checkraise (jeweils in 3bet pots)3bet%, 4bet%, Fold to 3bet, Fold to 4bet, Squeeze%
Und dazu kommen noch die hunderte Werte, die sich über das Holdem-Manager-Popup auf den Schirm zaubern lassen.
Angesichts dieser Zahlenflut ist an dieser Stelle wohl der Hinweis „Weniger ist mehr“ angebracht. Allemal hilft es eher, am eigenen Spielverständnis zu arbeiten, als seinen armen Hirnkasten mit immer mehr statistischen Werten zu bombardieren. Das verwirrt im Zweifel.
Außerdem möchte ich davor warnen, das eigene Spiel anhand der eigenen Stats zu entwickeln. Das geht sicher nach hinten los, wenn man einfach nur versucht, so ähnliche Stats zu haben wie gute Spieler. Die richtige Methode wäre, gut zu spielen, dann kommen die guten Zahlen von alleine. Und die verändern sich nur marginal, wie ich unlängst bei mir selbst festgestellt habe. Ein paar Modifikationen am Spiel in einigen Spots, mit denen ich etwas giftiger werden wollte, zeigen anhand meiner Stats nur gaanz langsam Wirkung. Gefühlt habe ich eine Menge umgestellt, und trotzdem ist es ein Prozess über zehntausende Hände, bis etwa der WWSF% (won wen saw Flop) oder die Aggr% um nur einen Punkt gestiegen ist. Schaden kann es allerdings nicht, die eigenen Zahlen mit denen anderer Spieler zu vergleichen und über die Unterschiede nachzudenken. Viel Erfolg!
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 13.05.2010.