Wenn wir eine exploitive Strategie wählen, denken wir binär. Unser Gegner tut immer entweder das Eine oder das Andere. Mit diesem Wissen können wir normalerweise exploitive Gegenstrategien entwickeln. Was aber passiert, wenn wir gegen bessere Gegner spielen, die balancierte Strategien wählen? Oder wenn wir selbst eine balancierte Strategie anwenden möchten? In diesen Situationen gibt es häufiger Missverständnisse darüber, wann eine Strategie exploitiv ist und wann sie ausgenutzt wird.
Das Verständnis von Gleichgewichts-Strategien ist Voraussetzung, um exploitives Spiel zu verstehen. Hier ist eine kurze Zusammenfassung:
1. Gegen einen Spieler, der immer die bestmögliche Gegenstrategie wählt, besitzt eine Gleichgewichts-Strategie die höchstmögliche Erwartung.
2. Eine Strategie, die eine geringere Erwartung besitzt als die Gleichgewichts-Strategie, ist eine exploitive Strategie.
Ein Beispiel:
Im Pot befinden sich $100. Spieler A hält zu 50% keinen Bluff. Er kann entweder $100 betten oder checken. Spieler B, der nur Bluffcatcher hat, kann callen oder folden. Nach Spieler B’s Aktion kommt es zum Showdown. Spieler A wählt eine Strategie, nach der 15% seiner Bets Bluffs sein werden (mit seinen Nicht-Bluffs bettet er immer). Spieler B wählt eine Strategie, nach der er A’s Bets zu 40% callen wird. Welche Strategie ist exploited?
Um herauszufinden, wer exploited wird, müssen wir die Gleichgewichts-Strategien für beide Spieler ermitteln. Die Gleichgewichts-Strategie für Spieler A besteht darin, in 33% der Fälle zu bluffen (und damit Spieler B 2 zu 1 Odds zu geben). Die Gleichgewichts-Strategie für Spieler B ist ein Call in 50% der Fälle (der Pot bietet seinem Gegner 1 zu 1 Odds für einen Bluff). Wählt Spieler A seine Gleichgewichts-Strategie, während Spieler B zu 40% callt, dann gewinnt er durchschnittlich $75 pro Hand. Blufft Spieler A zu 15%, dann hat er eine Erwartung von $71,76 pro Hand. Spieler A’s Strategie ist daher exploited.
Dieses Ergebnis mag für viele Leute nicht eingängig sein. Sie sehen, dass der Pot Spieler B Odds von 2 zu 1 bietet und Spieler A nur zu 15% blufft. Da Spieler B mit einem Call der Bets von Spieler A Verlust macht, ziehen Sie die Schlussfolgerung, dass er exploited wird. Dieser Gesichtspunkt berücksichtigt jedoch nicht die gesamte Strategie. Dadurch, dass Spieler A seltener als nach Gleichgewichts-Strategie blufft, erlaubt er es Spieler B, mehr Pots zu gewinnen. Der Verlust, den Spieler B bei einem Call der Bets von Spieler A macht, weist nur darauf hin, dass er A nicht optimal exploited. Wenn weniger als 33% der Bets von Spieler A Bluffs sind, besteht die optimale exploitive Strategie für Spieler B darin, zu 100% zu folden. (Das Extrem mag allerdings in der Praxis unklug sein, da Spieler A auf mehr Folds mit einer besseren Gegenstrategie reagieren könnte.)
Poker kann leicht in einfachere Spiele aufgegliedert werden. Spielen die Gegner auch ihre Nicht-Bluffs so, als ob sie nach einer Gleichgewichts-Strategie vorgehen, dann ist Poker oft dem Spiel Stein/Schere/Papier ähnlich. Dort lauten die Optionen „mehr bluffen“, „Gleichgewicht“ und „weniger bluffen“ für den einen Spieler und „mehr folden“, „Gleichgewicht“ und „weniger folden“ für den anderen. Das Verständnis der Gleichgewichts-Strategie erlaubt es Ihnen, zu verstehen, welche Grenzen überschritten sein müssen, damit die eine Strategie von der anderen exploited wird. Das folgende Modell veranschaulicht die drei möglichen Bereiche, in denen die Strategie eines Spielers angesiedelt sein kann.
Die Gleichgewichts-Strategie wird durch den Punkt y repräsentiert. Wenn ein Spieler den Punkt y belegt, dann gibt es für den anderen Spieler keine Strategie, nach der dieser exploiten kann. Immer, wenn sich Spieler A im Bereich x aufhält, kann Spieler B ihn exploiten, indem er sich im Bereich z aufhält. Genauso exploited Spieler B Spieler A, wenn sich dieser in Bereich z aufhält und Spieler B in x. Immer, wenn sich A und B im gleichen Bereich (x oder z) aufhalten, exploited A den Spieler B. Die äußersten Enden (z. B. 0% Folds) werden durch die Punkte c und d markiert. An den Punkte c bzw. d wird ein Spieler entweder das meiste gewinnen oder das meiste verlieren, je nachdem, ob seine Strategie exploitiv ist oder exploited wird.
In unserem Beispiel ist es für Spieler B egal, was er tut, wenn Spieler A die Gleichgewichts-Strategie wählt. Spieler B wird unabhängig von seiner Strategie den gleichen Erwartungswert haben. Das obige Modell gilt für jedes Szenario, in dem es durch die Gleichgewichts-Strategie des Betters/Raisers keine Rolle für den Gegner spielt, ob er foldet oder callt (solange der Better/Raiser mit seinen Nicht-Bluffs bettet).
Wenn der Gegner nicht unabhängig von der Gleichgewichts-Strategie für den Better/Raiser spielen kann, dann ist ein anderes Modell nötig. Nehmen wir an, Spieler A hält zu 80% Nicht-Bluffs. Seine Gleichgewichts-Strategie besteht darin, zu 20% zu bluffen, und die Gleichgewichts-Strategie für Spieler B besteht darin, immer zu folden. Immer, wenn einer der beiden Spieler von der Gleichgewichts-Strategie abweicht, wird er exploited, falls der Gegner nach der Gleichgewichts-Strategie spielt. Es gibt einen Bereich x (in Abhängigkeit vom Nicht-y-Bereich, den der Gegner besetzt), den beide Spieler besetzen können, ohne exploited zu werden. Es gibt einen bestimmten Bereich, in dem Spieler B immer exploited wird, wenn Spieler A seine Nicht-Bluffs nach Gleichgewichts-Strategie spielt. In unserem Beispiel ist das der Fall, wenn B zu weniger als 75% foldet. Immer, wenn A den Punkt d besetzt, wird er exploited, falls Spieler B nicht den Bereich z besetzt.
Das Verständnis der Gleichgewichts-Strategie ist nicht notwendig, um die optimale exploitive Strategie zu verstehen. Wenn ein Bluff einen positiven Erwartungswert gegen die gegnerische Strategie besitzt, dann erreicht man die höchstmögliche Erwartung, indem man immer blufft und wird nie eine exploited Strategie spielen. Die optimale exploitive Strategie kann aber trickreich sein. Wenn die Besetzung von Punkt c oder d den Gegner dazu veranlasst, eine Strategie zu wählen, gegen die man weniger gewinnt als wenn er den Bereich x oder z besetzt, dann sollte man letzteren Bereich besetzen.
Das Verständnis des Konzepts der Gleichgewichts-Strategie ist dabei hilfreich, zu verstehen, ob es einen positiven oder negativen Effekt hat, wenn man die gegnerische Strategie beeinflusst. Einer meiner Lieblingstricks in Heads-up Limit Hold’em Matches, in denen ich davon ausgehe, dass sie eine Zeit dauern werden, ist es, wild zu rebluffen, wenn ich denke, dass es meinen Gegner dazu bringen wird, zukünftig seltener als nach Gleichgewichts-Strategie zu bluffen. Auch wenn ich damit Erfolg habe, werde ich weiterhin gelegentlich rebluffen, selbst wenn diese Bluffs einen negativen Erwartungswert haben. Viele meiner Gegner denken fälschlicherweise, diese Situationen seien vorteilhaft für sie.
Die Ermittlung von Gleichgewichts-Strategien ist nicht immer einfach, insbesondere wenn man größere Ausschnitte des Spiels betrachtet, die mehrere Straßen beinhalten. Es ist jedoch notwendig, zumindest das Konzept der Gleichgewichts-Strategien zu verstehen, um ein solides Verständnis von exploitiven Spielzügen zu haben. Zwar wird es nie einen Menschen geben, der eine ganzheitliche Gleichgewichts-Strategie für eine Pokerpartie auswendig beherrscht, Intuition und auf Erfahrung basierende Schätzungen werden aber enorm hilfreich dabei sein, besser exploitiv zu spielen.
Bryce Paradis
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 10.09.2008.