„Um beim Poker zu gewinnen muss man sehr gut verlieren können“ – Ich
In meinen ersten Jahren als Pokerspieler hielt ich mich fast ausschließlich in Heimrunden auf. Sie waren fast alle sehr loose und waghalsig. Um zu gewinnen, musste ich nur tight spielen und das hatte ich gelernt. Das Problem war, ich hatte auch gelernt, auf Tilt zu gehen.
Ich war ein großartiger Tilter. Ich kannte alle Formen: kochend vor Ärger, unterschweilliger Zorn, zu looses, zu tightes, zu aggressives, zu passives Spiel, zu hohes Spiel, zu langes, zu müdes. Ich glaubte, irgendwelche gewinnansprüche zu haben, war genervt, fühlte mich ungerecht behandelt, war frustriert, nachlässig, wollte mich rächen. Ich war auf Tilt, weil mir Geld fehlte, weil ich zuviel dabei hatte, weil ich mich schämte, weil ich abgelenkt war oder Angst hatte. Ich war eifersüchtig, bekam die mieseste Pizza der Welt. Man zeigte mir einen Bluff, ich ging auf Tilt. Und die Tilt-Klassiker: Ich muss meine Verluste wieder reinholen oder ich habe nur noch soviel Zeit (auch Zerstörungs-Tilt genannt).
Ich ging auf Tilt, blickte zurück auf meine Tilt-Zustände und begann Zyklen zu sehen und dann Zyklen innerhalb der Zyklen. Es dauerte nicht lange, da begann ich meine komplette Zukunft als Pokerspieler als einen unaufhörlichen Wechsel zwischen tight und Tilt zu sehen. Ich stellte mir vor, wenn ich jemals im Poker Pleite gehen würde, dann nicht weil mein bestes Spiel nicht gut genug war, mich über Wasser zu halten, sondern weil mein schlechtestes Spiel mich untergehen lassen würde.
Ein großer Tag in meiner Pokerkarriere kam mit der Erkenntnis, dass ich auch morgen noch ein Tilter sein würde. Dass es keine schnelle Lösung geben würde. Dass es ein Prozess der kleinen Schritte sein würde.
Tilt hat viele Ursachen und Erscheinungsformen, aber nur einen Effekt. Tilt lässt uns schlecht spielen. Tilt lässt uns Dinge tun, die wir während unseres besten Spiels nicht tun würden. Und so möchte ich Tilt definieren. Tilt ist jede Abweichung vom besten Spiel und von der besten Denkweise.
Es gibt zwei Gründe dafür, Tilt so zu definieren. Der eine ist Standardisierung. Das beste Spiel ist immer identisch. Jeder, der sein bestes Spiel bringt, trifft die ihm bestmöglichen Entscheidungen, und sein Geist ist klar. Das bestmögliche Spiel, das wir alle bringen können. Durch diese Definition können wir für jeden Spieler eine Unterscheidung zwischen Nicht-Tilt und Tilt treffen.
Der andere Grund ist, wir spielen hier nur mit Worten herum. Wir nutzen sie als Schaufeln, um nach Gold zu graben. Indem wir das Wort Tilt verwenden, um uns auf unser bestes Spiel zu konzentrieren, treffen wir eine Goldader. Tilt ist nicht das beste Spiel. Tilt ist alles, was nicht das beste Spiel ist. Tilt ist suboptimal. Nach einer solchen Definition tiltet jeder. Die Frage ist nur, wie oft, wie lange und wie heftig.
So kommen wir zu den drei Dimensionen von Tilt: Häufigkeit, Dauer und Intensität. Wie oft weicht man von seinem besten Spiel ab? Wie lange dauert es? Und wie weit weicht man von seinem besten Spiel ab?
Wenn Sie denken, Sie hätten früher aufhören sollen, oder denken, Sie hätten niedrigere Limits spielen sollen, oder wenn Sie denken, Sie haben einen schlechten Call gemacht, dann haben Sie getiltet. Nur Sie selbst wissen, wann Sie es besser wussten.
Jede Verringerung der Häufigkeit, Dauer und Intensität Ihres Tilts vergrößert die Kluft zwischen Ihrem Tilt und dem der anderen zu Ihren Gunsten und bringt Ihnen damit einen sofortigen Vorteil. Um Geld durch Tilt zu machen, müssen Sie nicht tiltlos sein. Sie müssen nur weniger tilten.
Tommy Angelo
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 30.07.2008.