An einem schönen, nicht so kühlen Frühlingstag sitze ich am Ufer von Lake McDonald im Glacier National Park in Montana. Dies ist vielleicht einer der schönsten Plätze auf Erden und ich habe das Glück, hier sein zu können, wann immer ich möchte. Zu dieser Zeit ziehen hier viele Wasservögel durch. Sie rasten am See, um auf ihrem viele tausend Meilen weiten Weg zu den Sommernistplätzen Kraft zu schöpfen. Mir gefallen besonders die Seetaucher und die rotnackigen Lappentaucher. Der See ist ruhig, ja spirituell. Hier habe ich Zeit zum Nachdenken und genieße die Einsamkeit. Bei dem heutigen Tempo im Alltagsleben, wo jeder es eilig hat, irgendwo hinzukommen und das für wichtig hält, ist es schön, manchmal diese Hektik einfach auszusitzen und für eine Weile an einem Ort ohne Ablenkung zu verharren. Für mich funktioniert das irgendwie, obwohl es andere nicht unbedingt mit Genuss gleichsetzen.
Gewöhnlich bin ich einmal pro Woche hier im Park und lasse dabei zumindest einmal für längere Zeit das Seepanorama auf mich wirken. Der Park ist sehr bekannt, es lassen sich einige der besten Wanderwege erkunden, die man auf Erden finden kann. Eine besondere Eigenschaft des sehr tiefen Sees ist, dass er nicht sehr oft zufriert. Deswegen kann ich auch im Winter nach den fünf bis zehn Pfund schweren Forellen angeln, die im See leben. Ohne Zweifel ist Angeln im Winter in Montana eine kalte Angelegenheit, man ist aber gleichzeitig auf dem Land und nicht den ständigen Ablenkungen der Stadt ausgesetzt. Jetzt, da der Frühling da ist und die Blumen blühen, denke ich an wärmere Tage und häufigeres Angeln. Für mich ist das Lebensqualität.
Selbst als ich täglich viele Stunden Poker spielte, schaffte ich es, Pausen zu machen und vom hektischen Betrieb der Casinos Abstand zu gewinnen. Damit reduziert man Stress, erholt sich und kommt erholt von dem Ausflug zurück, um mit vollem Elan die Pokerpartien angreifen zu können. Hin und wieder nehme ich mir mehr Zeit und analysiere dann meine Spielweise. Ich denke dann länger über spezielle Hände und Situationen nach, in die ich mich gebracht habe.
Jeder Spieler weiß, dass seine Spielweise von vielen Einflussfaktoren abhängt. Ein Faktor könnte Stress sein, hervorgerufen durch zu langes Spiel. Ein anderer könnten persönliche Probleme sein oder sogar wenn man zu bestimmten Zeiten zuviel Geld dabei hat. Klar, zuviel Geld verändert Ihr Spiel. Verluste schmerzen nicht so sehr und Gewinne bringen nicht den gleichen Rausch als würde man mit kleinerer verfügbarer Bankroll spielen. Dies ist einer von vielen Gründen, warum ich dafür plädiere, dass Spieler Geld für die Zukunft beiseite legen, an das sie dann nicht mehr so leicht herankommen. Das verhindert auch, dass man es auf Tilt leichtsinnig verzockt. Man spielt innerhalb seiner tatsächlichen Bankroll mit dem Ziel, Geld zu verdienen.
Die überwiegende Mehrzahl erfolgreicher Pokerspieler verliert irgendwann die volle Aufmerksamkeit für den wahren Grund ihres Spiels. Für manche reicht es, einfach zu spielen. Wer aber spielt, um Geld zu machen, muss unter allen Umständen darauf achten, sein Geld zusammen zu halten. Viele der großen Spieler haben irgendwann in ihrer Konzentration nachgelassen und alles oder den Großteil ihres Nettoverdienstes verblasen. Es ist sehr schwer, jeden Tag auf hohem Niveau gegen Leute zu spielen, die nahezu genauso erfahren sind wie man selbst. Ich denke, man kann es mit einem Job gleichsetzen, in dem man Tag für Tag die gleichen Aufgaben ausführt, ohne große Hoffnung auf Verbesserung seiner Lebenssituation. Jeder sollte für sich Möglichkeiten suchen, sein abnehmendes Interesse am Spiel wiederzubeleben. Mir gelingt das, wenn ich Auszeiten nehme und mich in einer Umgebung aufhalte, wo ich über mein Leben nachdenken kann. Dazu gehört auch, wie ich viele Pokerhände gespielt habe.
Nach einer Pause und intensivem Nachdenken über begangene Fehler im Spiel und in bestimmten Händen scheint es, als könnte ich nach meiner Rückkehr einfacher gewinnen. Weil das emotionelle aus dem Spiel genommen ist, mache ich keine schlechten Calls mehr, wenn ich weiß, das wäre falsch. Emotionen kommen durch externe Faktoren ins Spiel. Ich hoffe, sie werden durch meine Auszeiten gemildert. Je klarer ich denken und meine Angriffe auf die Gegner planen kann, desto größerer Gefahr sind sie ausgesetzt. Außerdem – weil sie mich eine Weile nicht gesehen haben – vergessen sie, wie sie sich gegen meine Spielzüge und Angriffe auf ihre Stacks verteidigen können. All das bedeutet man macht mehr Geld und die Verlustchancen pro Sitzung verringern sich.
Nachdem in diesem Frühjahr der Schnee geschmolzen war, fand ich die Überreste von etwa zehn Rehen, von denen sich die Coyoten im Winter ernährt hatten. Wer weiß, wie viele mehr sie erwischt haben. Es gibt reichlich Rehe hier und ein Coyotenpaar lebt gut davon. Meist kommen die Rehe schlecht dabei weg. Die Coyoten haben sich eine neue große Höhle gegraben ganz nahe ihrer alten der letzten Jahre. Ich hoffe, die Jungen bald zu sehen. Im letzten Jahr reiften vier heran und suchten sich im Laufe des Jahres ihre eigenen Jagdgründe.
Ray Zee
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 30.07.2008.