Was könnte uns mehr willkommen sein als ein aggressiver Spieler, der genau einen Platz rechts von uns sitzt? Was immer er vor sich liegen hat, er raist. Fast auf jedes Raise erfolgt sein Reraise. Ungeachtet was im Flop fällt, auf sein Continuation-Bet können wir zählen. Und nachdem am Pokertisch das Geld immer im Uhrzeigersinn wandert, sammelt er die Chips der Spieler an seiner rechten Seite und von dort bewegen sie sich weiter zu uns. Wenn alles funktioniert.
Bluffen lässt sich dieser Spieler kaum. Sein Stil basiert auf kategorischer Gegenwehr. Antworten wir auf sein Bet mit einem Raise und er ist sich nicht wirklich sicher, dass wir ihn dominieren, dann erfolgt sein massives Reraise. Spiel um Spiel ist er bereit, seinen ganzen Stack zu investieren. Wir brauchen somit nichts anderes tun als uns zurück zu lehnen und auf das richtige Blatt warten. Früher oder später liegt es vor uns. Früher oder später sollte es vor uns liegen.
Am elektronischen Tisch im Casino von Montreal spielten wir No-Limit, 2/5, 500 Dollar das maximale Buy-in. Nach einigen angenehmen Konfrontationen hatte sich mein Buy-in rasch verdreifacht. Und dann kam der junge Kolumbianer und setzte sich an den freien Platz zu meiner Rechten.
Während der ersten Hände, so muss ich zugeben, unterschätzte ich ihn gewaltig. Ich hielt seine Spielweise für transparent, übertrieben loose, und erwartete, dass ich seine 500 Dollar bald kassiert haben werde.Doch, siehe da, sein Stack wuchs unglaublich schnell. Nach wenigen Konfrontationen war er verdoppelt.
Dann erlaubte sich ein Spieler gegenüber einen unverzeihlichen Fehler.
Bei folgendem Board lagen etwa 400 Dollar im Pot:
10 J Q J 8
Der Kolumbianer, als erster zu sprechen, setzte 250 Dollar. Sein Gegner, knapp 1 000 Dollar vor sich, antwortete mit einem All-in, wurde blitzschnell gecallt und verlor gegen J 8 . Mit A K hatte er die Nuts gefloppt gehabt und ignorierte in seiner Euphorie jegliche auftauchende Gefahr. Na ja, gäbe es nicht auch solche Pokerspieler, wo sollte schließlich das Geld herkommen?
Des Kolumbianers Stack war nun höher als der meine und begeistert sah ich meiner Verdoppelung entgegen. Während ich geduldig auf eine günstige Gelegenheit wartete, feuerte mein Nachbar unentwegt gewaltige Kaliber. Doch nicht nur, dass er selbst regelmäßig angriff, etwa ein Reraise mit 9-6 offsuite, um zwei Sechsen im Flop vorzufinden, auch scheute er keine überaus riskanten Calls.
UTG ging vor dem Flop mit seinen letzten 300 Dollar All-in, gefolgt von einem weiteren All-in mit 400 Dollar. Mein junger Sitznachbar, nach dem Motto: „No Guts, No Glory“, entschloss sich mit Q-J zu einem Call, um sich mit Ax Ax und Kx Kx konfrontiert zu finden. Schon der Flop brachte zwei Damen und weder Turn noch River änderten etwas an dieser Situation.
Während ich meinen Stack von 1 500 mit Mühe halten konnte, hatte der Mann neben mir, mit dem ich mich übrigens sehr freundlich unterhielt und der mir auch regelmäßig Einblick in seine Karten gewährte, 4 000 Dollar vor sich liegen.
Was unternahm ich, um mir meinen Anteil zu holen? Ich wartete. Gegen einen Spieler, der mit Qx Jx zwei All-ins callt, hütete ich mich vor zweifelhaften Angriffen. Findet sich ein derart aggressiver Spieler noch dazu mit einer enormen Glückssträhne konfrontiert, gibt es wirklich nur ein einziges Mittel, um ihn zu bremsen: die Nuts.
Irgendwann lagen nun endlich Qx Qx vor mir. Ich saß am Cutoff. Zwei Limper, des Kolumbianers Raise auf 30 und mein Reraise auf 100. Während Spieler um Spieler passte, erfolgte nicht der erwartete Call meines Freundes, sondern ein Rereraise auf 500!
All-in oder Fold?
Seit zwei Stunden spielte ich absolut tight. Es gab nicht den geringsten Grund, dass er mich eines Bluffs verdächtigen konnte. 100 Dollar zu investieren, um seine 30 Dollar plus die paar Fünfer zu stehlen, ergab keinen Sinn. Er musste davon ausgehen, dass ich über ein nennenswertes Blatt verfügte. Er musste mit Ax Kx oder hohem Pocket-Pair rechnen. Und trotzdem raiste er mich ums Fünffache. Wäre ihm dies mit mittlerem Pocket-Pair zuzutrauen?
Er spielte aggressiv. Er genoss eine unglaubliche Glückssträhne. Aber, er war kein Maniac. Nachdem er mir regelmäßig Einblick in seine Karten gewährt hatte, wusste ich, dass er, wenn die Situation es erforderte, auch zum Passen mit annehmbarem Blatt fähig war.
Hätte ich mehrmals versucht gehabt, gegen ihn zurückzuschlagen, dann hätte dieses Rereraise als Muskelspiel gedeutet werden können. Es war aber wirklich das erste Mal, das erste Mal in zwei Stunden, dass ich ihn raiste.
Nach langem Überlegen kam ich zum Schluss, dass es nur drei mögliche Kombinationen gab, mit denen er sich auf dieses Gefecht hätte einlassen können: A-K, A-A oder K-K. Ich passte.
Er lächelte, klickte auf seinem Monitor auf „Show Cards“ und zwei Könige wurden sichtbar.
Noch eine weitere Stunde ging es so weiter. Dann verabschiedete er sich – mit 6 000 Dollar!
Das Geld war weg vom Tisch. Ich hatte noch gerade 900 Dollar vor mir, bescheidene 400 Dollar Gewinn, und kündigte an, dass es für mich die letzte Runde sei.
K Q erhielt ich am Button. Ein Limper, ein Raise auf 30 in mittlerer Position, gecallt von mir, vom Big Blind und vom Limper.
Der Flop: 9 10 K
Check, Check, 100. Top-Pair mit akzeptablem Kicker, Gutshot und Backdoor-Flush-Draw. Ich callte ebenso wie die beiden anderen Spieler
Turn: 5
Check, Check, 100. Worauf könnten die beiden Cold Calls am Flop beruhen? Auf ein beliebiges Paar, auf einen Draw oder auf die Nuts. Q – J wäre keine unwahrscheinliche Kombination. Würde ich nun raisen und einer der drei Gegner antwortete mit einem Reraise, müsste ich mich zurückziehen. Ich entschied mich somit wieder für einen Cold Call, dem beide Gegner gleichermaßen folgten.
River: A
Na ja, dachte ich, jetzt ist der Pot wohl weg. Ein Ass wird es wohl irgendwo am Tisch geben.
Check, Check, 50!
Wird er unsicher oder ist er vom Gewinn so überzeugt, dass er noch ein paar Dollar aus uns herauslocken möchte? Den Fünfziger ließ ich mir’s noch kosten!
Die beiden anderen Spieler passten. Mein Gegner zeigte K J und über 1 000 Dollar wanderten zu mir. Kein schlechter Abschluss nach der fruchtlosen Präsenz des so willkommenen Aggressors zu meiner Rechten.
Wenige Minuten später saß ich auf der Terrasse der „Bar Carré“, trank ein Glas belgischen Biers, betrachtete die hell erleuchteten Wolkenkratzer am anderen Ufer des St. Lawrence Stroms, und konnte endlich ein paar Zigaretten genießen, denn, wie ich schon einmal erwähnt habe, auch Pokerspielern ist das Rauchen am Arbeitsplatz in Montreal mittlerweile verboten worden.
Alex Lauzon
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 24.06.2008.