Viele Beobachter glauben, die Zukunft von Poker hängt davon ab, wie die Gerichte die folgende Frage beantworten: Ist Poker ein Glücks- oder ein Geschicklichkeitsspiel? Es ist überraschend, wie wenig quantitative Arbeit bisher dazu geleistet wurde. In diesem Artikel schlage ich eine Methode vor, mit deren Hilfe man über die relative Wichtigkeit von Glück und Skill in Pokerturnieren nachdenken kann.
Man hört oft Aussagen wie: “Niemand hätte zehn Bracelets, wäre Poker ein reines Glücksspiel.” Das sollte durch eine statistische Analyse untermauert werden. Man kann es beispielsweise folgendermaßen angehen. Für jedes jemals ausgetragene WSOP-Event gibt es einen Hut, in den Zettel mit den Namen der jeweiligen Teilnehmer getan werden. Aus jedem Hut wird zufällig ein Zettel gezogen. Einige Namen würden nur einmal, einige zweimal und einige öfter gezogen werden. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass aus purem Zufall drei verschiedene Namen jeweils zehnmal gezogen werden?
Diese Frage kann ich nicht exakt beantworten. Das kann wahrscheinlich niemand, da vermutlich niemand eine komplette Liste aller Teilnehmer aller WSOP-Events besitzt. Die Listen, die ich gesehen habe, sind unvollständig und fehlerhaft. Meine Analyse, die auf einigen Vermutungen basiert, zeigt, dass man etwas weniger als einen Gewinner von zehn Bracelets erwarten kann, wenn Poker ausschließlich Glück ist. Drei solche Gewinner sind aber vorstellbar (in ungefähr 20% aller Fälle hätte man drei oder mehr Gewinner von zehn Bracelets, wenn man Namen aus Hüten zieht).
Eine andere Variante dieses Arguments besteht in der Behauptung, die gleichen Spieler landen Jahr für Jahr weit vorne. Seit 1973 waren 14 Sieger und Zweitplatzierte des Main Events vorherige Sieger oder Zweitplatzierte. Bei einer zufälligen Verteilung würde man 11 erwarten. Das weist zwar auf Skill hin, aber nicht deutlich genug, um einen Skeptiker zu überzeugen.
Ich habe mich eine Weile nach guten Daten zu diesem Thema umgesehen. Online-Pokerräume besitzen Unterlagen zur Verteilung der Spielergewinne. Es gibt ein paar Probleme mit den Daten, zumindest mit denen, die ich gesehen habe, sie zeigen aber ziemlich überzeugend, dass einige Spieler mehr Geld machen, als es der pure Zufall erlauben würde. Das beweist aber nur einen minimalen Anteil Skill (d. h. ein erfahrener Spieler kann einen Anfänger schlagen). Solange man Tic-Tac-Toe nicht als Skill-Game ansieht, braucht man mehr als das. Das Spiel sollte nicht leicht zu beherrschen sein. Es können nicht eine Milliarde Menschen gleichzeitig der beste Spieler sein, selbst wenn diese Milliarde Spieler die anderen fünf Milliarden schlägt.
Die einzige Quelle für Pokerdaten aus richtigen Casinos sind Turniere. Dabei gibt es zwei Kategorien. Für offene Turniere gibt es keine guten Aufzeichnungen aller Teilnehmer, und Turniere nur für Profis helfen uns nicht weiter. Selbst in einem Skill-Game, sind die besten Spieler ungefähr gleich gut. Die Tatsache, dass die Wettquoten beim Super Bowl für beide Teams gleich sind, beweist nicht, dass Football kein Skill-Game ist. Ich habe eine Menge Daten durchgesehen, ohne etwas absolut überzeugendes zu finden. Es ist leicht zu zeigen, dass es eine Skill-Komponente bei Poker gibt, die statistische Signifikanz ist aber schwer nachzuweisen.
Schließlich habe ich eine Methode gefunden, die m. E. verlässlich ist. Sie ist nicht ganz leicht nachzuvollziehen, aber ich denke, es lohnt sich. Am Main Event der WSOP 2006 nahmen 8.774 Spieler teil. Wäre Poker ein reines Glücksspiel, dann hätte jeder von ihnen eine Chance von 1/8774 auf den Turniersieg. Wäre Poker ein reines Geschicklichkeitsspiel, dann hätten 8.773 Spieler keine und ein Spieler eine hundertprozentige Chance.
Nehmen wir an, man könne einen beliebigen Teilnehmer des Turniers auswählen und $8.773 gegen $1 wetten, dass er das Turnier nicht gewinnen wird. Dann wählt man einen zweiten Teilnehmer und setzt $8772 gegen $2, dass weder er noch der erste Teilnehmer gewinnen wird. So macht man weiter. Man setzt jedesmal $8.774 – $N, dass keiner der ersten N Spieler gewinnen wird.
Ist Poker ein reines Glücksspiel, dann sind alle diese Wetten fair. Niemand hat einen Vorteil. Falls Poker ein reines Skill-Game ist, und man weiß, wer der beste Spieler ist, dann kann man $1 vom schlechtesten, $2 vom zweitschlechtesten usw. bis $8.773 vom zweitbesten Spieler gewinnen. Insgesamt sind das $38.487.151. Besitzt Poker sowohl eine Glücks- als auch eine Skill-Komponente, dann liegt der erwartete Gewinn zwischen $0 und $38.487.151. Der erwartete Gewinn durch das Maximum $38.487.151 dividiert wird Gini-Koeffizient genannt. Ein Gini-Koeffizient von Null bedeutet völlige Gleichheit, Poker ist ausschließlich Glück. Ein Gini-Koeffizient von Eins weist auf völlige Ungleichheit hin, Poker ist ausschließlich Skill.
Mir gefällt dieses Maß aus verschiedenen Gründen. Es beantwortet die Frage für einen großen Querschnitt der ernsthaften Pokerspieler, einschließlich einiger der besten Spieler der Welt. Das Turnier selbst ist nicht zu kurz, wodurch der Glückseffekt der Karten verringert wird, und der Lohn für ein gutes Turnier ist groß genug, so dass man davon ausgehen kann, alle geben ihr Bestes.
Bei Betfair fand ich die Quoten für das Erreichen des Final Tables für verschiedene Spieler. Phil Ivey war Favorit mit 22 zu 1. Es sollte eine Quote von 877 zu 1 sein, wäre Poker ausschließlich Glück. Natürlich könnten die Wettenden daneben liegen, diese Quoten haben sich aber im allgemeinen als bemerkenswert präzise erwiesen. Eine Wette auf den Spieler mit der achtbesten Quote, Allan Cunningham, zahlte sich aus. Wären die Dinge vom Zufall bestimmt, dann läge die Wahrscheinlichkeit, einer der Top 10 bei Betfair käme an den Final Table bei 1/88.
Betfair hatte nur Quoten für 114 der 8.773 Teilnehmer. Ich gehe davon aus, dass diese 114 von den Betfair-Kunden für die besten Spieler gehalten werden. Die Wahrscheinlichkeiten, an den Final Table zu kommen, können mit einer Exponentialfunktion angenähert werden: P = 0,02334*R-0,3860, wobei R den Ranglistenplatz bezeichnet (also R = 1 für Phil Ivey, R = 2 für Daniel Negreanu usw., R = 8 für Allan Cunningham). Daraus folgt ein Gini-Koeffizient von 24%. Die oben beschriebenen Wetten, $8.773 zu $1 mit dem schlechtesten, $8.772 zu $2 mit dem zweitschlechtesten Spieler usw. würden einen erwarteten Profit von $9,13 Millionen ergeben.
Das lässt mich die Behauptung aufstellen: Der Erfolg im WSOP Main Event basiert zu 24% auf Skill und zu 76% auf Glück. Würden wir eine größere Grundgesamtheit zugrundelegen, sagen wir alle Pokerspieler oder alle Menschen, dann würden wir mehr Skill vorfinden. Auch wenn wir einen längeren Zeitraum betrachteten, wäre der Skill-Anteil größer. Außerdem zählen wir nur den Skill, der den Wettenden auf Betfair offensichtlich ist, nicht den gesamten Skill.
Wenn wir die Analyse andererseits auf andere Weise erweitern, können wir erwarten, weniger Skill vorzufinden. Würden wir eine Mehrzahl an Pokervarianten, Limit-Strukturen und Formaten betrachten, dann würden wir erwarten, dass verschiedene Spieler unter den unterschiedlichen Umständen gut abschneiden, was in unserer Analyse als Glück gemessen würde. Würden wir die Analyse auf Jahrzehnte ausdehnen, dann würden wir verschiedene Spieler an der Spitze wiederfinden, was ebenfalls als Glück gemessen würde.
Insgesamt bin ich zufrieden mit dem Ergebnis. Ich denke, Skill ist beim WSOP Main Event sehr wichtig, Glück aber signifikant wichtiger. Das Verhältnis von 1 zu 3 scheint richtig zu sein. Es ist genug, um Poker eindeutig als Skill-Game einzuordnen, auch wenn Glück an den wenigen Spieltagen eine große Rolle spielt. Poker ist mein Spiel, da mir das Verhältnis gefällt. Der Skill-Anteil ist groß genug, um ihn spürbar zu machen, aber klein genug, damit man bescheiden bleibt, ganz egal, wie gut man ist.
Aaron Brown und Brandon Adams
Aaron Brown ist der Autor von The Poker Face of Wall Street, ein Buch, das von der Business Week zu den Top Ten Büchern von 2006 gewählt wurde.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 10.05.2008.