$80-$160 Heads-up auf dem River und die Action ist bei mir. Dieser gesprächige Typ checkt zu mir und ich bette. Er hält für einen Moment inne und verzerrt sein Gesicht zu einer Grimasse und streckt seinen Ellbogen in einer Ausholbewegung nach vorne. Er langt zurück und greift einen Stapel Chips und beugt sich wieder nach vorne und legt die Chips auf den Tisch und beginnt damit, den Stapel in vier Türmchen a vier Chips aufzuteilen, und sagt: „Ich denke, ich liege immer noch vorne, deshalb werde ich raisen. Ich raise.“
Und ich denke „noch?“. Was genau meint er mit dem Wort „noch“?
Leicht zu lesen war mein Gegner nicht, obwohl er viel redete. Ich hatte gelernt, einigen subtileren Implikationen seiner Worte zu vertrauen und gleichzeitig einigen offensichtlichen Implikationen seiner Bets zu misstrauen. Eine Hand Poker mit ihm zu spielen, war so, als ob ich jemandem zusah, der mir Mitteilungen in unsichtbarer Tinte schrieb.
Bis hierher, bis zu seinem Checkraise auf dem River hatte ich mir nicht die Mühe gemacht, ihn auf irgendetwas zu setzen. Ich hatte mich aber darauf vorbereitet, einen Read zu entwickeln. Der Read war muss-später-hergestellt-werden-falls-nötig. Jetzt war es nötig. Die Vorgeschichte:
Vor dem Flop war er UTG und er limpte. Alle foldeten zu mir auf dem Button. Für mich ist das eine Raise- Call- oder Fold-Situation. Hmmm, was tun, was tun. Ich entschied mich dafür, mir meine Karten anzusehen. Ich hatte Sechsen. Ich raiste. Beide Blinds foldeten und er callte, aber zögernd, was bedeutete, dass… nun ja, bisher nichts.
Der Flop war J-T-6 mit zwei Kreuz. Die Zehn und die Sechs waren Kreuz. Er bettete, ich raiste und er callte, aber nicht sofort, was bedeutete, dass…, ich hatte keine Ahnung, was es bedeutete.
Der Turn war ein Blank. Wieder bettete er aus, ich raiste erneut und er callte mit einem Zögern, was bedeutete, dass…, ich hatte auch diesmal keine Ahnung, was es bedeutete.
Der River war der Kreuz König. Er checkte, ich bettete und er checkraiste.
Mir war etwas an diesem Spieler aufgefallen, und dieser Raise auf dem River war ein perfektes Beispiel dafür. Von Zeit zu Zeit war es so, als hätte er noch nicht entschieden, was er tun würde, bis zu dem Augenblick, an dem er es tat. Mein Radar hatte dies erneut erfasst und es brachte mich zum Nachdenken.Um unlesbar zu sein, ist es natürlich am wichtigsten, seinen Körper unter Kontrolle zu haben, aber während ich meinen Gegner beobachtete, kam mir etwas anderes in den Sinn. Sollte das Ziel des Spiels darin bestehen, unlesbar zu sein, dann wäre dies eine andere Möglichkeit. Man müsste sein Denken, nicht seinen Körper unter Kontrolle haben.
Wenn jemand versuchen sollte, mich zu lesen, aber noch nichts geschrieben steht, würde mich das unlesbar machen? Das war es, was er tat, von Natur aus. Vielleicht könnte ich das auch, vorsätzlich. Ich meine, wie könnte man mich lesen, wenn ich selbst absolut kein Ahnung habe, was ich tun werde, bis ich es tue? Ich habe mir eine Notiz gemacht, um daran zu arbeiten. Das ist eine weitere Kunst, die unmöglich zu beherrschen ist, in der man aber leicht besser werden kann.
Da saß ich also und sah mich mit seinem Checkraise konfrontiert. Und jede meiner Möglichkeiten – Fold, Call oder Raise – könnte die richtige sein. Fein. Und ich hatte noch keine Entscheidung getroffen, was bedeutete, dass ich bereits Praxis darin sammelte, nicht zu wissen, was ich tue. Ich hatte definitiv viel davon. Ich meine, von meinem zeitlich abgerechneten Rake.
Und noch war da dieses „noch“. Was teilte er mir damit mit?
Hätte er „Ich denke, ich liege noch vorne“ gesagt, wenn seine Karten der Kreuz Bube und ein anderer Kreuz waren, was ihm Top Pair auf dem Flop und einen Flush auf dem River gebracht hätte? Ja, vielleicht.
Was war mit KJ oder KT oder JT? Ja, ja, ja.
Was mit AQ oder Q9 und einer geriverten Straße? Diese Hände hätte er nur haben können, wenn er das „noch“ erfunden hatte. Das schien am unwahrscheinlichsten zu sein.
Bei der Art und Weise, wie er es sagte, war eine große Auswahl an Händen möglich, und dann war da noch das ungewöhnliche Zögern auf den ersten drei Straßen. Warum? Besagte das Wort „noch“, dass er mit einem großen Paar startete? Asse? Könige? Damen? Buben? Zehnen? Aber keine dieser Hände passte zur Vorgeschichte. Hätte er mit Buben oder Zehnen nicht auf dem Turn gereraist? Und mit Damen sehe ich ihn nicht auf dem River checkraisen. Und würde er mit AA oder KK UTG limpen und dann meinen Raise nur callen statt zu reraisen? Und auf dem Turn? Bei einem solchen Spieler – jemandem, der Poker wie Jazz spielt – ist alles möglich.
Ich beschloss, er müsste entweder AA oder KK oder einen Flush mit dem Kreuz Buben oder vielleicht KJ oder KT oder JT haben, ich meine, ich wusste es nicht. Nichts davon machte wirklich Sinn, und ich war mir immer noch nicht darüber im Klaren, was ich tun sollte. Zumindest das machte ich richtig.
Ich callte. Er zeigte Asse.
Tommy Angelo
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 09.01.2008.