Ein Freund von mir, der einer der besten No-Limit-Spieler der Welt ist, sagte mir, in zwei Jahren wäre die Gruppe der Top No-Limit-Spieler furchterregend und viel besser als diejenige, die heute an der Spitze steht. Ich stimme ihm zu. Vielleicht sind diese Spieler schon da draußen, haben aber noch nicht die Bankroll (eine bedauerliche Voraussetzung, um als Topspieler anerkannt zu werden), um in den großen Partien mitzuspielen. Oder vielleicht müssen sie erst 21 werden.
Mein Freund war der Ansicht, er sollte seinen Gewinn maximieren, solange er zu den Besten gehört, und beiseite treten, wenn die neue Gruppe an Topspielern die Spitze übernimmt. Das ist kluges, vorausschauendes Bankroll-Management. Viele frühere Topspieler erkannten nicht, als ihre Zeit abgelaufen war.
In den letzten Jahren habe ich viel von High Stakes Poker mitbekommen. Meine Beobachtung ist, Poker hat noch kein komplettes Talent gesehen. Es gibt bei Poker keinen Roger Federer. Die Topspieler stechen üblicherweise in ein oder zwei Aspekten des Spiels hervor, und sind in den anderen Aspekten bloß sehr gut. Man sieht analytische Brillanz bei Brian Townsend oder Phil Galfond, unglaubliche Instinkte bei Phil Ivey oder Kenny Tran oder unvergleichliches Pokerwissen und Gedankenschnelle bei Barry Greenstein. Aber man findet alles dies nicht bei ein und derselben Person. Es ist unvermeidlich, dass jemand, der alle diese Talente besitzt, an die Spitze aufsteigen wird. Gerade jetzt ist viel Geld und Status im Spiel. Potentielle Aufsteiger werden angezogen, und der Pool an Talenten ist international.
Lassen Sie mich ausholen und das Spielstärkeniveau von zwei völlig unterschiedlichen Spielen, Poker und Schach, vergleichen. Mir scheint, bei Poker hat noch niemals jemand die Meisterschaft erreicht, die die besten Schachspieler besitzen. Die Spielstärke, die Garry Kasparov auf dem Höhepunkt seiner Karriere demonstrierte, wurde auf dem grünen Filz bisher von niemandem erreicht. Darüber kann man diskutieren, aber ich glaube, es ist offensichtlich wahr, und ich denke, es gibt einen tieferen Grund dafür. Poker zermürbt.Vergessen wir für einen Augenblick das Umfeld, das Poker umgibt. In der Pokerwelt sind Alkohol, Drogen, Depression und Schlafmangel weit verbreitet, ignorieren wir aber für den Moment den langfristigen Effekt dieser Dinge auf die menschlichen Fähigkeiten. Ich glaube, Poker selbst besitzt eine innewohnende Eigenschaft, die es einem erschwert, seine Fähigkeiten stetig weiterzuentwickeln. Genauer gesagt, denke ich, ein wesentlicher Reiz des Spiels – die Fähigkeit, Adrenalin und andere Stress-Chemikalien fließen zu lassen – schädigt das Gehirn von Pokerspielern, und macht es schwer, das Spiel zu studieren und sich weiter zu verbessern. Es gibt haufenweise Hinweise dafür, dass selbst relativ geringer Stress die Stirnlappen des Gehirns schädigen und die Lern- und Merkfähigkeiten mindern kann.
Es ist wohlbekannt, dass die Hirntätigkeit (insbesondere die Fähigkeit, sich neue Fähigkeiten anzueignen) ungefähr ab dem 19.Lebensjahr mit dem Alter abnimmt. Ich vermute, Poker beschleunigt diesen Prozess, aber selbst wenn das nicht der Fall ist, sollten wir Lebenszyklus-Tendenzen erwarten. In der akademischen Welt erleben Spezialisten unterschiedlicher Disziplinen ihren Höhepunkt in unterschiedlichem Alter, abhängig davon, wie wichtig bloße Rechenleistung (IQ) gegenüber akkumuliertem Wissen in ihrem Schaffensgebiet ist. In Bereichen, in denen die Rechenleistung sehr wichtig ist (z. B. Mathematik) haben Forscher ihren Zenit in sehr jungem Alter (mit ungefähr 25). In Bereichen wie Geschichte, in denen das angehäufte Wissen sehr viel zählt, kommt der Höhepunkt mit 50 oder später.
Ich denke, Online-Poker ist sehr viel rechenintensiver als Live-Poker und hängt weniger von akkumuliertem Wissen ab (z. B. über Verhaltensmuster). Es ist nicht überraschend, dass die Top-Onlinespieler in der Regel sehr viel jünger als die Top-Livespieler sind. Ich schätze, ein ernsthafter Onlinespieler erreicht seinen Höhepunkt mit 24 oder so, und ein Livespieler mit ungefähr 33. Außerdem erwarte ich, dass die Fähigkeiten des Livespielers langsamer abfallen als die des Onlinespielers.
Ich halte es für nicht allzu schwierig, sich den perfekten Pokerspieler vorzustellen. Zuallererst muss er (oder sie) mit einem Gespür für das Spiel geboren worden sein. Es gibt einige Spieler, die das Spiel einfach im Blut haben. Jeder entwickelt mit der Zeit die Fähigkeit, Hände und Leute zu lesen, aber nur Leute mit großem Talent sind in der Lage, diese Fähigkeiten auf ein Weltklasseniveau zu heben. Zweitens muss er sehr klug sein, mit ausgezeichnetem Gedächtnis und großartigen analytischen Fähigkeiten. Drittens muss er sich sein Talent und seine Fähigkeiten mit einer gesunden Lebensweise bewahren. Ich stimme der Ansicht von Patrik Antonius zu, die Topspieler der Zukunft müssen außerdem sehr fit sein.
Die vierte und fünfte Eigenschaft eines perfekten Pokerspielers stimmt nicht mit den Eigenschaften einer rundherum ausgeglichenen Person überein. Der perfekte Pokerspieler muss die Jahre, in denen er seinen intellektuellen Höhepunkt hat (um sein 19.Lebensjahr herum), dazu nutzen, das Spiel so tief wie möglich zu studieren. Das beinhaltet das Studium der Spiel- und Wahrscheinlichkeitstheorie, die man auf Poker anwenden kann. Als letztes muss man sich in den Zwanzigern darauf konzentrieren, so viel Pokererfahrung zu sammeln wie möglich. Und solange wir die asoziale Komponente untersuchen: eine mögliche sechste Eigenschaft eines perfekten Pokerspielers besteht darin, unverheiratet zu sein.
Poker ist noch nicht krank genug, dass Leute den oben beschriebenen Lebensweg beschreiten. Dieser Pfad der Einschränkung ist sicherlich ein Grund, weshalb Talente vom Kaliber eines Kasparovs oder Federers erzeugt werden. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das Pokertraining diese Intensität erreicht.
In der Online-Welt gibt es eine weitere Schwierigkeit, was die Existenz von Software zur Handanalyse angeht. Leute, die nicht die neuesten und besten Tools haben, werden gegen diejenigen verlieren, die im Besitz davon sind. Das Versäumnis, mit dem technologischen Fortschritt mitzuhalten, kann zum Niedergang führen.
Auf praktischer Seite sollte ein Pokerspieler immer versuchen, sein Ego in Schach zu halten und seine relative Spielstärke vernünftig einzuschätzen. Darüberhinaus sollte beim Konzept des Bankroll-Managements berücksichtigt werden, wie sich die eigene relative Spielstärke mit der Zeit entwickeln wird.
Brandon Adams
Mit freundlicher Genehmigung von www.alwaysbluff.com
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 02.01.2008.