Da ich seit Jahren Poker spiele durfte ich schon viele solche Auftritte verfolgen (obwohl der schon ein wenig extrem war), aber ungewöhnlich sind solche Aktionen keineswegs. Jeder halbwegs erfahrene Spieler hat solche Durchknaller schon häufig gesehen. Viele Pokerspieler, denen eben die Fähigkeit fehlt sich, dann rasch wieder einzukriegen, haben sich so nachhaltig vernichtet.
Betrachten wir ein paar Fragen dazu, die uns alle angehen. Was verursacht so einen totalen „tilt“? Wie könnte man das unter Kontrolle bringen? Wieso gibt es eine Gruppe von wirklich starken Spielern, die niemals in solche Gefahr zu kommen scheinen? Und wie kann man denen nacheifern, wenn man sich gerade bemüht, sein eigenes Spiel zu optimieren? Natürlich gehen Spieler aus einer Reihe von Gründen „on tilt“ und somit ist jeder Fall ein wenig anders. Aber trotzdem glaube ich, dass es für die meisten solchen Aussetzer eine übergeordnete eigene Logik gibt und genau darauf basieren auch die möglichen Lösungsvorschläge, um die Sache in den Griff zu bekommen.
Was ich glaube ist, dass die Meisten einfach das Pokerspiel im Gesamten nicht gut genug verstehen, um sich mit allem abzufinden, was nun mal zu diesem Spiel gehört. Damit sind sie dann emotional nicht entsprechend auf Dinge vorbereitet, die nun mal logischerweise auch passieren. Und wenn eines dieser nicht erwarteten Ereignisse eintritt, gibt es so ein Art mentalen Kurzschluss und schon switchen sie in den „on tilt“-Modus.
Poker ist ein Spiel, das sich durchgehend den einfachen Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechung unterordnet. Es ist keine große Sache zu erfassen, wie Pokerhände mathematisch gegeneinander stehen und aus den Kombinationen der bekannten Karten die Wahrscheinlichkeiten für die kommenden Karten auszurechnen. Man kann auf mathematischen Grundlagen optimierte Entscheidungen treffen, über die Häufigkeit eines Versuches zu bluffen, wann es Sinn macht, gerade heraus ein Bet zu machen und wann man ein Checkraise versuchen sollte.
Besonders nicht so starke und unerfahrene Spieler ziehen aus dieser mathematischen Logik den trügerischen Schluss, Poker sei eigentlich ein leichtes Spiel. Und dann beklagen sie sich, weil sie glauben, genau so gut spielen würden wie die Topspieler. Meist ein Zeichen dafür, dass sie im mentalen und emotionalen Bereich ihre Schwächen haben und das ist dann auch der Grund für ihre gar nicht so guten Resultate und die schlechte Angewohnheit, immer mal wieder „on-tilt“ zu gehen.
Wobei diese Tendenz „on-tilt“ zu gehen sicher nichts mit irgendwelchen Botenstoffen im Gehirn zu tun hat, die außer Kontrolle geraten. Das kann die Sache vielleicht ein wenig eskalieren lassen, aber ist sicher nicht die Wurzel des Übels. Und um das näher zu betrachten, kommen wir zurück zu den oben erwähnten mathematischen Wahrscheinlichkeiten. Jede einzelne für sich zwar leicht zu berechnen und zu verstehen, aber es gibt da beim Poker spielen eine Besonderheit. All diese an und für sich leicht zu verstehenden Fakten können im Zusammenspiel zu einer recht komplexen Situation werden. Nicht nur, dass es unzählige von einzigartigen Situationen gibt, viele von denen kommen auch völlig unerwartet auf einen Spieler zu. Und wenn man sich darauf nicht entsprechen vorbereitet, kann man leicht in so eine gefährliche Phase kippen, in der einem egal zu sein scheint, auch mal eine Million Dollar zu verlieren (ob man sie nun besitzt oder auch nicht).Betrachten wir einmal ein einfaches Beispiel. Sie spielen Limit Hold´em in einem multiway Pot und haben am Flop das Top-Pair. Ein erfahrener, guter Spieler stellt jetzt folgende Überlegungen an.
1. Wie stehen die Chancen, dass ich mit dem Top-Pair aktuell die beste Hand habe?
2. Welche Bedeutung haben die anderen Karten des Boards für mich?
3. Wie groß ist der Pot?
4. Welcher Spieler wird mit welcher Hand ein „Call“ oder ein „Raise“ machen?
5. Wie wahrscheinlich ist es, dass die Gegner diese Hand auch tatsächlich haben?
6. Ist es zu erwarten, dass ein anderer Spieler anspielt, wenn man checkt?
7. Und von wem ist so ein Anspiel zu erwarten?
8. Was bedeuten Turn und River für meine Überlegungen?
9. Was gäbe es für alternative Strategien und welches Risiko brächten die mit sich?
10. Und wie wahrscheinlich ist, dass ein Gegner seine Hand jenseits der wahren Stärke spielt?
Der wenig erfahrene Spieler beschränkt sich meist auf folgende Überlegung: „Ich habe die beste Hand und gehe davon aus, dass ich anspielen sollte, um mehr Geld zu gewinnen.“ Basierend auf dieser wenig durchdachten Analyse wählen solche Spieler die schlechtest mögliche Strategie, diesen Pot zu spielen und werden dementsprechend oft auch diese Hand verlieren. Solche Potverluste sind auf die Dauer sehr teuer und der Spieler sieht nicht nur einen großen Pot, in der er selbst kräftig investiert hat, zum „falschen Spieler“ wandern, er hat auch nicht die geringste Ahnung, wie das geschehen konnte. Er ist sich nur sicher, dass so etwas aus unerfindlichen Gründen den Topspielern „niemals“ passiert und darüber regt er sich dermaßen auf und gerät in einen Zustand, den wir „on tilt“ nennen.
Aber um jetzt auf den Spieler zurückzukommen, von dem ich am Anfang dieses Artikels berichtet habe. Der gab ja wirklich eine perfekte Vorstellung ab zum Thema Poker spielen „on tilt“. Erst nach dem Motto „jede Hand hat gewinnen“ und dann in weiterer Folge, man kann mit jedem Board gewinnen, solange man am River nochmals eine große Wette hineinfeuert. Somit war der von mir beschriebene Spieler ein idealer Kandidat, wenn es darum ging, einen Anfall von massiver Selbstbeschädigung zu dokumentieren. – Keine große Erfahrung als Pokerspieler, trotzdem in anderen Partien bisher durchaus erfolgreich und noch in dem Glauben, es sei gar nicht so schwer, viel besser als die anderen zu spielen. Seine Ansichten über starkes, solides Spiel beschränken sich auf die Eröffnungsphase, der er überhaupt zuviel Bedeutung zumaß. Konzepte, in denen man sich damit beschäftigt, was der Gegner einem selbst für eine Hand zuordnet und ähnlich ausgereifte Strategien sind für ihn noch ein Buch mit sieben Siegeln. So ist das Potential für einen selbstzerstörerischen Anfall immer gegeben und es werden sicher auch noch weitere folgen.
Aber um abschließend eine Antwort zu geben, was Sie dagegen tun können. Arbeiten Sie immer daran, Ihr Spiel zu verbessern. Machen Sie sich Gedanken über die Hände, die Sie spielen, lesen Sie sorgfältig alle guten Bücher über Poker – auch wenn es da eine Menge gibt. Diskutieren Sie mit anderen Spielern und seien Sie immer offen für neue Strategien. Auf diese Art und Weise können Sie sich davor schützen, selbst „on tilt“ zu gehen. Das hat für mich so funktioniert und auch für all die wirklich starken Spieler, die ich kenne.
Sollten Sie zu denen gehören, die manchmal solche Aussetzer haben, dürfen Sie nicht erwarten, dass das über Nacht vergeht. Auch wenn Sie sich an die Tipps und Tricks halten, die ich Ihnen oben beschrieben habe. Sich diese Unart abzugewöhnen ist eine schwierige Sache und Sie sollten das sorgfältig und mit Bedacht angehen. Aber ich glaube, dass Sie Fortschritte bemerken werden, wenn Sie diesen Ratschläge folgen, und Ihre Pokerresultate werden sich auf lange Sicht spürbar verbessern.
Mason Malmuth
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 03.08.2007.