Wenn Freunde und Bekannte hören, dass man in Casinos Poker spielt, sagen viele: “Oh, das könnte ich nicht. Ich habe kein Pokerface.” Mir passiert das häufig. Und wenn man ernsthaft antwortet, sagt man etwas wie: “Das ist nicht wirklich der Grund, weshalb jemand bei Poker gewinnt. Ihr würdet ohne Pokerface verlieren, aber fast jeder kann sich eines antrainieren. Es sind andere Dinge, die den Unterschied zwischen Gewinnern und Verlierern ausmachen.”
In meiner damaligen ersten Kolumne im Card Player wollte ich einige der Dinge ansprechen, die diejenigen Spieler, die gut genug sind, um Profis zu sein, von halbwegs guten Spielern, die aber mit Poker nicht ihren Lebensunterhalt bestreiten können, unterscheiden. Ich spreche von den professionellen Pokerspielern oder Experten, die mindestens 50.000 $ im Jahr (oder 20 $ pro Stunde) in den öffentlichen Fullring-Limit-Partien, die von Casinos angeboten werden, machen. Ich rede aber nicht von den Spielern, die normalerweise shorthanded, Pot-Limit oder No-Limit, sehr hohe Limits oder Turniere spielen. In diesen Fällen sind etwas andere Fähigkeiten gefragt.
Die Spieler, von denen ich spreche, sind fast alle der Öffentlichkeit unbekannt. Sie verkehren in Partien von 15$/30$ bis 80$/160$ und ernten weder Ruhm noch Vermögen. Schätzen Sie sie aber nicht falsch ein. Das sind die besten Pokerspieler der Welt. In einigen Fällen sind sie besser als viele der “Weltklasse-Spieler”, von denen man gehört hat, zumindest in ihrem Spezialgebiet. Viele der berühmten Profis wurden durch Turniere oder No-Limit bekannt. Andere spielen ausgezeichnet Limit, aber multitabeln typischerweise shorthanded Highstakes-Partien. Der Alltagsprofi andererseits spielt nur eine Partie an einem Fullring-Tisch, an dem normalerweise zwei oder drei schwache Amateure sitzen. Ein berühmter Weltklassespieler würde in dieser Partie wahrscheinlich etwas schlechter abschneiden (auch wenn er immer noch mit Leichtigkeit gewinnen würde).
Welche Fähigkeiten also unterscheiden den Profi oder Experten wirklich von halbwegs guten Spielern (die kleine Limits klar schlagen, aber ab 15 $/30 $ nur auf ein ausgeglichenes Ergebnis kommen)? Einige dieser Dinge werde ich demnächst ansprechen, doch vorher möchte ich darauf eingehen, was es nicht ist.
1. Es ist nicht “Disziplin”. Unter den erfolglosen Spielern hört man oft, dass ihre einzige Schwäche darin besteht, “auf Tilt zu gehen”, wenn sie verlieren. Und es gibt keinen Zweifel daran, dass sie das tun, und dass ihnen das schadet. Nicht jederzeit sein bestes Spiel zu bringen, kostet Geld. Und schlechte Spieler machen das dauernd. Genauso wie einige Profis. Einverstanden. Aufstrebende Profis aber tun das fast nie. Das sagt einem der gesunde Menschenverstand. Es ist völlig offensichtlich, dass man Disziplin benötigt, um langfristig den maximalen Erfolg zu haben. Und um diszipliniert zu sein, braucht man keine besonderen Fähigkeiten. Meine Mutter könnte das. Der einzige Nachteil darin, diszipliniert zu sein, besteht darin, dass es unwahrscheinlicher ist, an Verlusttagen noch in die Gewinnzone zu kommen. Deshalb sind viele Amateure und einige Profis zu aggressiv. Ich kann aber nicht glauben, dass sehr gute Spieler, die mit ihrem besten Spiel einen guten Lebensunterhalt verdienen könnten, und genau das versuchen, sich das alles durch einen einzigen nicht wieder gutzumachenden Fehler verscherzen. Es wäre nicht besonders hart, dem natürlichen Drang zu widerstehen, looser zu spielen, um aus der Verlustzone für den Tag zu kommen, wenn eine solche Praxis die gesamte Karriere ruinieren könnte.
Meiner ehrlichen Meinung nach belügen sich erfolglose Pokerspieler selbst, wenn sie behaupten, dass sie klare Gewinner wären, hätten sie nur eine bessere Disziplin. Falls das wirklich wahr wäre, würden sie diszipliniert werden. Es gab wahrscheinlich sogar Zeiten, in denen sie diszipliniert waren, nur um herauszufinden, dass sie trotzdem keine Gewinner sind. Und nun spielen sie undiszipliniert und nutzen das bewusst oder unbewusst als Ausrede.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Disziplin ist eine wichtige Eigenschaft professioneller Pokerspieler. Es ist aber wie mit dem Pokerface. Sie ist leicht anzutrainieren und ist nicht das, was Gewinner und Verlierer unterscheidet.
2. Es ist nicht “Geld-Management”. Wieder haben wir ein Konzept, das Verlierer oder Break-even-Spieler vorbringen, um das Zugeständnis zu vermeiden, dass es ihnen an Poker-Fähigkeiten fehlt. Eine weitere “Pokerface”-Ausrede. Sie wären Langzeit-Gewinner, wenn sie nur aufhörten, bevor sie ihre Gewinne zurückgäben. Das ist natürlich eine noch schlechtere Ausrede als die der fehlenden Disziplin, da das Konzept des Geld-Managements im Gegensatz zur Disziplin größtenteils unsinnig ist. Bis auf wenige Ausnahmen spielt man, solange man einen Vorteil hat, unabhängig davon, wie viel man gewonnen oder verloren hat. Jemand, der jederzeit sein bestes Spiel bringt, kann Geld-Management nie für fehlenden Erfolg beim Pokern verantwortlich machen.
Eine wichtige Anmerkung: Mit “Geld-Management” meine ich, die richtigen Zeitpunkte zum Spielen und Aufhören zu wählen. Der gleiche Begriff wird manchmal für das Spiel mit angemessener Bankroll verwendet. Das nenne ich “Bankroll-Management”, was tatsächlich wichtig ist.
3. Es ist nicht Bankroll-Management. Eine weitere Ausrede erfolgloser Pokerspieler ist, dass sie gewinnen würden, wenn sie besser mit ihrer Bankroll umgingen und nicht zu hoch spielten. Da ist etwas Wahres dran, aber nicht langfristig. Falls man beispielsweise 30 $/60 $ mit einer Bankroll von 5.000 $ spielt, ist es unabhängig davon, wie gut man ist, nicht unwahrscheinlich, dass man Pleite geht. Aber nicht, wenn man das mehrmals tut. Letztendlich sollte man irgendwann Glück haben, so dass die Bankroll bis zu dem Punkt anwächst, an dem das Ruinrisiko nicht mehr signifikant ist. Falls das nicht passiert, liegt es daran, dass man das Spiel nicht schlagen kann. Ich kenne einige bankrotte Profis, die in mittleren Limits ihren Lebensunterhalt verdienen könnten, aber Stakes spielen, in denen sie nicht gewinnen. Diese Spieler sind aber selten.
4. Es ist (normalerweise) nicht die Auswahl der Partien. Verstehen Sie mich richtig. Wie Disziplin ist die Wahl der (guten) Partie sehr wichtig. Aber auch das ist einfach. Es ist daher unwahrscheinlich, dass jemand, der gut genug wäre, seinen Lebensunterhalt mit Poker zu bestreiten, wenn er nur eine gute Auswahl der Partien treffen würde, daran scheiterte. (Es kann aber einige egomanische Ausnahmen geben.)
5. Es ist nicht das Erkennen von generischen Tells. Eine Hand auf Basis physischer Hinweise analysieren zu können, kann eine wertvolle Fähigkeit eines professionellen Pokerspielers sein. Er sollte aber besser in der Lage sein, auch ohne diese zu gewinnen. In höheren Limits kann man nicht darauf bauen, Spieler zu finden, die diese Tells haben. Darüber hinaus besitzen Tells, die nicht hundertprozentig akkurat sind, bei Limit wenig Wert. Aufgrund von Pot Odds werden unpräzise Tells ihre Strategie normalerweise nicht ändern.
Mit generischen Tells meine ich alles mögliche, das im Allgemeinen auf Spieler zutrifft. Z. B. agieren sie stark, wenn sie schwach sind. In höheren Limits wäre es Selbstmord, so etwas zu viel Wert beizumessen. Die Tells können leicht umgekehrt werden. Wenn Profis Tells herleiten, dann tun sie das auf individueller Basis, nachdem sie den fraglichen Gegner sorgfältig beobachtet haben. Falls man kein Spieler vom Kaliber eines Profis ist, liegt es nicht daran, dass man keine Tells erkennt.
6. Es ist (normalerweise) nicht das Image. Falls ein looses Image ein grundlegender Faktor für den Poker-Erfolg wäre, weshalb verschaffen sich nicht mehr Leute dieses Image? Das ist nicht schwierig. Zumindest nicht so schwierig, wie gut zu spielen. Die Antwort ist, dass die Kosten für das Image bei Limit zu hoch sind für die Extra-Calls, die man möglicherweise bekommt. Falls die Karten aus den vorherigen Hände Sie loose erschienen ließen, ist das etwas anderes. Nutzen Sie das aus. Das gleiche gilt für das Gegenstück (bluffen Sie mehr, wenn man Sie für tight hält). Ein besonderes Image zu kultivieren, ist aber nicht das, was diese hart arbeitenden Profis tun, um Geld zu machen.
Es gibt jedoch eine Ausnahme bezüglich meiner Kommentare zum Konzept des Images. Es ist sehr wichtig, dass Sie kein “ernsthaftes” Image haben. Eines, das es dem gesamten Tisch klar macht, dass sie die Partie und das Geld sehr ernst nehmen. Falls Ihre Gegner das sehen, werden sie gegen Sie tighter spielen und nur gegen Sie strategische Bluffs machen (die wahrscheinlich funktionieren). Ein ernsthaftes Image ist nicht das gleiche wie ein tightes Image. Jemand mit einem tighten Image kann weiterhin ohne viel Nachdenken ungezwungen Chips in die Mitte werfen. Außerdem klappen Bluffs bei ihm besser als bei einem ernsthaften Spieler, der eher verdächtigt wird, an einem Bluff zu überlegen.
Das ernsthafte Image, bei dem man sich über viele Entscheidungen den Kopf zerbricht, nie lächelt, angespannt guckt usw., ist tatsächlich eine mögliche Ursache dafür, dass ein guter Spieler scheitert. Es kann schnell zehn Dollar pro Stunde oder mehr kosten und ist daher ein Aspekt, neben dem Wissen, wie man gut spielt, der einige Spieler davon abhält, erfolgreicher Profi zu werden.
7. Es ist nicht das Wissen der Odds. Diejenigen, die überrascht sind, dass ich das sage, kennen mich nicht gut. Viele Verlierer können die Wahrscheinlichkeiten zur Verbesserung verschiedener Hände im Schlaf. Einige wissen sogar, wie man diese selbst berechnet. Im Gegensatz dazu gibt es viele erfolgreiche Profis, die keine Wahrscheinlichkeiten kennen und die Wahrscheinlichkeiten, sich zu verbessern, nur schätzen. Richtig angewandt kann Mathematik beim Pokern sehr wichtig sei. Besonders, wenn man Spieltheorie, Logik, Bayessche Statistik und Handanalysen mit der Hilfe von Kartenverteilungen berücksichtigt. Das bloße Wissen perfekter Prozentzahlen (im Gegensatz zu brauchbaren Näherungswerten) aber ist fast wertlos.
Was also unterscheidet den Profi oder Experten vom Möchtegern?
FORTSETZUNG FOLGT
David Sklansky
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 03.07.2007.