Einer der häufigsten Fehler, den Anfänger beim Poker machen, ist, dass sie ihre Gegner falsch einschätzen und so auf vermeidbare Art und Weise Hände verlieren oder an Spielen teilnehmen, die eine oder zwei Nummern zu hoch für sie sind.
Pokergegner im Live-Spiel falsch einschätzen
Beginnen wir mit einer Beispielhand: Sie sitzen in einem Live-Casino und spielen Texas Hold’em mit Blinds von €1 / €2. Die Stacks liegen im Schnitt bei 200 Euro und Sie sitzen mit 9 5 im Big Blind.
Dass diese Hand unspielbar ist, ist egal, denn vor Ihnen wird nicht geraist. Fünf Spieler limpen und Sie checken ihre Option. Der Flop gibt Ihnen eine sehr gute Hand: 9 5 2 – Top-Two-Pair. Der Small Blind checkt, im Pot liegen €12 und Sie setzen €10. Der nächste Spieler callt Ihre Bet. Dieser Spieler war schon in den vergangenen Orbits ziemlich wild, blufft und callt viel zu viel und hat nur noch €65 vor sich. Gegen ihn wären Sie ohne Frage bereit all-in zu gehen, dafür ist Ihre Hand allemal stark genug.
Doch direkt hinter dem wilden Spieler raist ein Spieler die Bet auf €40. Dieser Spieler ist Ihnen, seitdem er am Tisch, sitzt nicht weiter aufgefallen. Preflop hat er kaum Hände gespielt und nach dem Flop bislang immer nur gefoldet. Jetzt sollten schon alle Alarmglocken bei Ihnen schrillen. Er hat, ebenso wie Sie, einen vollen €200-Stack.
Die restlichen Spieler folden und Sie sind an der Reihe. Ein teurer Anfängerfehler wäre es jetzt, den tighten Spieler zu unterschätzen. Seine Hand ist in dieser Situation sehr, sehr stark. Sie haben zwar Top-Two, werden gegenwärtig nur von Sets geschlagen und davon gibt es grade mal 5 Kombinationen (einmal Neunen, einmal Fünfen, dreimal Zweien), aber es gibt praktisch keine andere Hand im Spektrum des tighten Spielers als diese 5 Sets.
Unterschätzen Sie Ihren Gegner nicht und spielen Sie nicht stur nach der Devise, ich habe Top-Two, wenn ich geschlagen bin, war das halt Pech. Ferner haben Sie keine Position, müssten in der nächsten Runde Rätselraten spielen und hätten schon ein Fünftel Ihres Stacks investiert. Ein Fold ist hier die mit Abstand beste Option.
Auflösung: Sie folden, der wilde Spieler callt und auf dem Turn sind beide All-In. Der wilde Spieler zeigt K 9 für Top-Pair und der tighte Spieler 5 5 für ein Set.
Der typische Gegner beim Live-Poker
An einem Pokertisch im Kasino, einem Hinterzimmer oder Home-Game trifft man in der Regel auf recht einfache Gegner-Typen. Während Einige durchaus wissen, wie man Poker spielt und ernsthaft an das Spiel gehen, sind viele Spieler vergleichsweise schwach. Das gilt insbesondere auf den niedrigen Limits – in einem Kasino ist das niedrigste Limit häufig €1/€1 oder €1/€2.
Den durchschnittlichen Poker-Gegner beim Live-Poker auf niedrigen Limits kann man getrost als Amateur einschätzen. Ein basales Grundwissen kann man bei ihnen annehmen, aber im Schnitt sind die meisten Spieler viel zu loose – das heißt, sie spielen zu viele Hände. Ferner sind sie häufig zu passiv, callen zu viel und wollen einfach nur sehen, ob sie ihre Hand bis zum River treffen.
Viele Gegner spielen nach einem recht festen Muster und man kann bei Vielen häufig schon nach wenigen Orbits einschätzen, wie sie bestimmte Hand-Typen in der Regel spielen.
Eier!Viele Spieler neigen ferner dazu, sehr emotional zu spielen. Für einen Spieler, der zu emotional spielt, geht es nicht mehr darum, profitable Entscheidungen zu treffen, sondern es seinem Gegner (oder seinen Gegnern) “zu zeigen”. Bei einem solchen Spieler reicht es manchmal schon aus, “Eier!” auszurufen, um einen Call mit einer hoffnungslosen Hand zu provozieren.
Mit der nötigen Disziplin und Aggressivität kann man von solchen Spielern eine Menge Geld gewinnen. Man darf nur nicht den oben beispielhaft geschilderten Fehler machen, einen Spieler komplett falsch einzuschätzen.
Das Handbuch der Poker-Moves und Playing the Player (jeweils auf deutsch bei PokerBooks.de) sind zwei gute Bücher, die einem Anfänger enorm helfen können, die niedrigen Live-Stakes langfristig zu schlagen und seine Poker-Gegner richtig einzuschätzen.
Online-Gegner falsch einschätzen
Beim Online-Poker verhält es sich prinzipiell genauso, wie beim Live-Poker: Auf den niedrigsten Limits sind die Spieler ziemlich schwach und machen grobe Fehler, die man vergleichsweise leicht ausnutzen kann.
Aber immer noch fallen viele Spieler einem teuren Irrtum anheim, wenn sie meinen, dass sie ein paar hundert Euro online einzahlen können und dann NL100 schlagen werden, nur weil sie im Kasino das €1/€2-Spiel dominieren.
Während Live die €1/€1 oder €1/€2 Tisch in der Regel die niedrigsten Limits sind, sind sie es online beileibe nicht. Auf den meisten Seiten ist NL100 das fünft- bis siebtniedrigste Limit. Sprich: die meisten schwachen Freizeitspieler tummeln sich auf Tischen mit Blinds von 1 Cent / 2 Cent bis 5 Cent / 10 Cent.
Auf den NL100-Tischen sitzen in erster Linie Profis und Semi-Profis, die eine Menge Erfahrung auf ihrem Buckel haben und viele von ihnen leben vom Online-Poker.
Anzunehmen, dass man online die gleichen Limits schlagen kann wie beim Live-Poker, ist einer der teuersten und frustrierendsten Fehler, den ein (Online-)Anfänger machen kann.
Es ist völlig egal, wie gut jemand im Kasino, im Hinterzimmer oder bei Home-Games spielt – wenn er keine Erfahrung mit Online-Poker hat und auf dem selben Limit einsteigt, das er von seinen Live-Partien gewohnt ist, wird chancenlos untergehen und unter Garantie eine Menge Geld verlieren.
Betrunken Online?Eher selten
Seine Gegner hier zu unterschätzen ist ein krasser Fehler, der fast immer im Verlust der initialen Bankroll mündet. An einen Live-Pokertisch verirren sich immer wieder Leute, die nur marginale Ahnung vom Poker haben, Alkohol wird häufig in Massen konsumiert und viele Gegner spielen schon aus Langeweile viel zu viele Hände.
All dies passiert online in der Regel gar nicht. Die wenigsten Spieler sitzen angetrunken vor ihrem Rechner. Vorbei sind auch die Zeiten, da unzählige komplette Poker-Noobs ob eines Poker-Booms ihr Glück an mittelteuren Tischen versuchen und Langeweile kommt bei vielen Spielern auch nicht auf, schließlich kann man mehrere Tische parallel spielen oder nebenher im Netz surfen.
Natürlich trifft man weiterhin schwächere bis sehr schwache Spieler beim online, aber diese sind en gros auf den niedrigsten Limits beheimatet und wenn man selbst grade erst anfängt, ernsthaft Online-Poker zu spielen, sollte man seine ersten Gehversuche auch dringend auf diesen Limits machen.
Will man unbedingt sofort eine Chance auf große Preise haben, kann man dann und wann ein paar Turniere spielen. Dort ist ein Anfänger zwar auch stark im Nachteil gegenüber erfahreneren Spielern, doch wirken sich die Fähigkeitsunterschiede dort nicht stark aus und man kann in einem Turnier nur ein Buy-In versenken, nicht gleich die ganze Bankroll.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 11.01.2014.